KUNST RAUM VILLACH HAUPTPLATZ 10, 9500 VILLACH

AUS DER AUSSTELLUNGSREIHE "BETWEEN CINEMA AN ART"

 

BIRGIT SCHOLIN  – A FAMILY PORTRAIT

 

Beispieltext: Mit Lockrufen wie "unglaubliches Raumangebot" und "freundliche Kuratorinnen" machten die Betreiber einer "Kunsthalle Linz" in den letzten Tagen auf sich aufmerksam. Das temporäre Ausstellungsprojekt am Gelände der Tabakfabrik entpuppt sich als kluge Intervention.

 

Einige waren sich doch nicht ganz sicher. Und fragten nach dem Weg zur neuen Kunsthalle Linz. Die Überraschung war jeweils groß, nicht nur angesichts der Kleinheit dieser Kunsthalle. Ein Kubus - etwa 40 cm im Quadrat - der als Teil der Behausung eines Außentemperaturfühlers für die Heizungsanlage ein bislang wenig beachtetes Dasein im Hof der Tabakfabrik fristete. Geschickt ausgeleuchtet täuschte ein Foto offenbar doch Einige, spielte der Betreiber (IFEK - Institut für erweiterte Kunst) mit der großen Sehnsucht nach eben einer "Kunsthalle Linz". Birgit Scholin ist eine der sechs Kunstschaffenden, die sich auf das "unglaubliche Raumangebot" einlassen. Die Wiener Animationsfilmerin ruft mit ihrer an ein Filmstill erinnernden Installation eine private Erinnerung an einen geheimen Raum im Haus ihrer Eltern ab; darüber hinaus schafft Scholin einen Raum voller allgemein zugänglicher Assoziationen: der schlafenden Plastilinfigur stellt sie lebende Wüstenheuschrecken zur Seite, von denen sich eine noch während der Vernissage und vor Aller Augen häutet. Kafkas Verwandlung drängt sich auf, im Hintergrund hängt briefmarkengroß ein Portrait von Wanda von Sacher-Masoch. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Kuratorinnen Julia Hartig und Marie-Therese Luger das augenscheinliche Missverhältnis von Kunsthalle und Tabakfabrik in den kommenden Wochen bespielen. Es ist immerhin eine radikale Kleinheit, die die Kleinstadt-Sehnsucht nach Größe und Urbanität, wie sie sich in der Tabakfabrik manifestiert, kommentiert oder gar herausfordert. Luger hat es in ihrer Eröffnungsrede jedenfalls auf den Punkt gebracht: die Kunsthalle Linz zelebriere dieses Missverhältnis, den Unterschied zwischen Höhe und Tiefe, Spaß und Ernsthaftigkeit, Banalität und Bedeutungsschwere. Ein "kleiner Spielplatz für unverhältnismäßig große Dinge", so Luger. Jedenfalls ein im wahrsten Sinn des Wortes kleiner, aber äußerst feiner Beitrag zu künstlerischen Produktions- und Ausstellungsbedingungen, wenn auch mit Ablaufdatum: im Herbst und Winter führt die Kunsthalle wieder ihr Dasein als rein technisches Gerät.

 

Vernissage am 15. September 2014 ab 19:00 Uhr

Begrüßung: Bürgermeister Helmut Manzenreiter

Zur Eröffnung spricht: Dr. Karin Hafner (Kunsthistorikerin)

 

Ausstellungsdauer: 16. September – 16. November 2014

 

 

Birgit Scholin „Between Cinema and Art“

(Eröffnungsrede)

 

Birgit Scholin ist keine Künstlerin, die nur einem Weg folgt. Sie hat mit ihren jungen 30 Jahren schon einige Wege beschritten, Ausbildungen absolviert und diverse Techniken in ihren Werken angewendet. Das Außergewöhnliche dabei ist, dass die Künstlerin es schafft, die verschiedenen Wege zu ihrem ganz persönlichen Weg zu verflechten. Es bleibt nichts auf der Strecke, es wird alles integriert.

 

Das Nähen hat sie sich selbst beigebracht und setzt es heute in ihrem Kindermodelabel „Fundevogel“ und bei der Gestaltung der Puppen für ihre Filme und Installationen ein. Das Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien brachte weitere Bausteine mit sich – das Narrative und Detaillierte zieht sich durch das Werk von Birgit Scholin.

 

Der nächste Schritt war das Verlassen des theoretischen Weges mit dem Studium der Experimentellen Gestaltung an der Universität Linz sowie das Studium der Kunst und Kommunikativen Praxis und der Experimentellen Textilen Gestaltung an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

 

Mit der Zeichnung begann Birgit Scholin ihre Laufbahn als bildende Künstlerin, dann kamen Comics und damit die Zeichnungen in Bewegung. Puppen lösten die Comicphase ab und mit ihnen erfolgte der Schritt ins Dreidimensionale, zur Plastik. Und wiederum setzte Birgit Scholin ihre Kunst schrittweise in Bewegung – und begann mit Animationsfilmen.

 

Die Zeichnungen werden in Comics zum Leben erweckt, die Puppen in den Animationsfilmen – was im Grunde der gleiche Vorgang ist: eine Abfolge von Standbildern erzeugt Bewegung, einmal zwei-, dann dreidimensional. Akribische Feinarbeit wird hier zum Leben erweckt – ein äußerst schöpferisches Vorgehen. Birgit Scholin hebt so den künstlerischen Akt an sich auf eine Metaebene.

 

Familie, Mutterschaft, Körperlichkeit und ihre eigene Tätigkeit als Künstlerin. Diese Themen stehen in Wechselbeziehung zueinander und werden in den oftmals düsteren, morbiden Arbeiten zum Ausdruck gebracht. Das Beobachten von Menschen und das Erfassen von Aussagen detaillierter Bewegungen liegt den kleinteiligen und arbeitsintensiven Kunstwerken zugrunde – denn Mimik und Gestik verraten viel.

 

So haben auch die Puppen aus dem Film "Family Portrait" (2012/13) sehr elaborierte und ausdrucksvolle Gesichter. Zusammengesunken, mit halb geschlossenen Augen hocken die Figuren in den Einmachgläsern, die Ausdruck von Hausmannskost, Sparsamkeit und Kleinbürgertum sind und die Armut als gläsernes Gefängnis darstellen. Weitere Assoziationen könnten der gläserne Schneewittchensarg sein, als Gleichnis für das Warten auf Erlösung aus einem ungesunden Schlaf. Oder wörtlich genommen auch das Leben im (Reagenz)glas, künstlich erzeugtes Leben bzw. konservierter Tod, denn die Objekte lassen auch Verbindungen zu eingerexten anatomischen Präparaten zu.

 

Im Film "Family Portrait" agiert eine Familie in einem einzigen Zimmer nebeneinander – ohne miteinander zu kommunizieren. Inspiriert wurde Birgit Scholin von einem im Naturhistorischen Museum Wien ausgestellten Grab einer dreiköpfigen Familie aus der Hallstattzeit. Die Körperhaltung der Toten lässt vermuten, dass die Personen bei lebendigem Leib begraben wurden. Am Ende des Films begeben sich die Familienmitglieder gemeinsam auf das große Bett, nehmen diese zusammengekauerte Körperhaltung ein und werden mit schwarzer Erde bedeckt.

 

Einmachgläser, wie jene, in denen die Puppen jetzt sitzen, kommen im Film Family Portrait ebenfalls vor. Sie stehen auf einem Regal, ein Wurm kriecht an einem davon hinauf – vielleicht eine Anspielung auf den Verfall: am Ende fressen jeden die Würmer. Jetzt sind die Figuren in diese Bestandteile ihrer eigenen kleinen Welt eingeschlossen, darin begraben. Schläfrig vegetieren die Puppen in ihren zu kleinen Glasbehältern vor sich hin – gut sichtbar für die Außenwelt doch sie selbst haben die halb geschlossenen Augen nur nach innen gerichtet. Haben sie zuvor auf zu engem Raum nebeneinander gelebt, so ist jetzt in dem ewigen Schlaf, zu dem sie sich alle zusammen freiwillig auf das Bett gelegt haben, jeder für sich isoliert.

 

In den Textilen Grafiken (Siebdruck auf Baumwollköper, Stickerei, 2014), werden die Themen Mutterschaft, Kind, Körperlichkeit und Geburt durch Kaiserschnitt behandelt.

 

Darunter ist auch ein Selbstporträt der Künstlerin als Zitat der mythologischen Darstellung "Saturn frisst seinen Sohn" von Francisco de Goya.

 

Als einzelne Motive kehren hier – in Ergänzung zum Porträt der Künstlerin und ihres Sohnes – Hände, Herz, Auge, Mund, der weibliche Unterleib sowie in Verbindung damit das Aufschneiden, Zunähen und die dazugehörigen Fäden wieder.

 

Birgit Scholin hat zwischen bildender Kunst und Kino ihre eigene Welt erschaffen und verliert sich dort gerne im Detail.

 

Karin Hafner

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