Isabel Belherdis

Ingenium’s stage

 

Ein Projekt für die Steirische Kulturinitiative innerhalb des Parallelprogramms des Steirischen Herbst 2022 Zurück von den Träumen – Zeitlos aktuelle Metallarchitektur

 

Ingenium’s stage, 2022

Installation, Acrylglaskubus, Steine, archäologisches Objekt, Topfpflanzen, 100 x 100 cm

 

Ausgehend von einer Recherche über den Ort, an dem sich das Glashaus Graz (erbaut 1888–1889, renoviert 2020–2021) befindet, sowie über dessen Initiator Hubert Leitgeb (1835–1888) und dessen Konstrukteur Ignaz Gridl (1825–1890) befasst sich Ingenium’s stage mit der Thematik des Verborgenen und nimmt Bezug auf vergessene oder unbekannte Personen, Objekte und Wesenheiten im Ereignisfeld von Kulturgeschichte, Technik und Naturwissenschaft.

 

Ingenium’s stage reflektiert die sich im Laufe der Geschichte veränderte Bedeutung und Wahrnehmung des Begriffs und der Person des „Ingenieurs“. Zurückgehend auf lat. gignere (erzeugen, hervorbringen, gebären, wachsen) sowie ingenium (angeborene Art, Scharfsinn, Erfindungsgeist, kluge Erfindung) ist in der Antike der Begriff des genius als eine jeder Person, jedem Ort und jeder Sache innewohnende schöpferische Kraft und göttliche Instanz omnipräsent.

 

Die Installation besteht aus einem durch lebende Pflanzen fast verdeckten Acrylglaskubus, in dem insgesamt sieben Steine verwahrt werden, die von der Künstlerin an den projektspezifischen Orten gesammelt wurden und in situ zusammen mit einem mysteriösen Römerstein arrangiert wurden. Dergestalt bildet Ingenium’s stage eine Bühne für (scheinbar leblose) Objekte, die als Stellvertreter derjenigen Persönlichkeiten fungieren, deren Anerkennung bis heute ausblieb und dient somit als Altar und Tempel für in Vergessenheit geratene Orte und Wesenheiten, welche die Begriffsgeschichte des Wortes „Ingenieur“ eint.

 

Als Ort der auto-performativen Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Ausstellungsort wird Ingenium’s stage zur Bühne, deren Aufführung durch die künstlerische Methodik einer nicht öffentlich zugänglichen Performance für die Ausstellungsbesucher ebenfalls noch im Verborgenen bleibt und erst in weiterer Folge – innerhalb der weiterführenden Ausstellung cage aux rêves im KUNST RAUM VILLACH ab dem 29.10.2022 – in Form von überlagerten Performance-Stills gezeigt wird.

 

Eine weitere Interpretationsebene spannt das Innere und das Äußere des Acrylglaskubus auf: Das Objekt, das selbst als Glashaus dienen könnte, beinhaltet keine Pflanzen, sondern wird stattdessen seinerseits von Pflanzen fast zur Gänze umhüllt und invertiert somit das Prinzip des Gewächshauses, das ein Ort ist, der Pflanzen fasst, die allerdings, wie in Gesprächen mit den Botanikern herauskam, selbst in sehr hohen Räumen starke Einschränkungen in ihrem Wachstum hinnehmen müssen.

 

Die stattdessen während der Installation im Glaskubus befindlichen Steine lassen an das Sprichwort denken: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!“

Dieses Sprichwort bezieht sich u.a. auf eine Bibelstelle Johannes 8,3ff, Lutherbibel 2012 in der Jesus diejenigen bloßstellt, die eine Frau steinigen wollen: (…) Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. (…)" sowie Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert: „Wer ein Haupt von Glase hat, musz nicht mit Steinen fechten.“

 

Der künstlerische Manifestation der unterschiedlichen Ebenen des Verborgenen gingen mehrere Schritte voraus:

Während des Sommers besuchte die Künstlerin die projektspezifischen Orte: Neben dem historischen Glashaus des botanischen Gartens in Graz waren dies die ebenfalls von der Firma Ignaz Gridl konstruierte Lippitzbachbrücke sowie die Brücke in Radeče und ließ sich im Universitätsarchiv Graz, dem Landesarchiv Steiermark und Landesarchiv Kärnten die Bauakte sowie im Landesarchiv Steiermark die Korrespondenzen von Hubert Leitgeb ausheben, sammelte Material über archäologische Funde römischer und keltischer Flussgöttinnen und -götter und durfte sogar die Originalskizzen Hubert Leitgebs im Institut für Biologie/ Pflanzenwissenschaften sichten.

 

Mehrere Wochen vor der Ausstellungseröffnung lieferte die Künstlerin einen Acrylglaskubus in den späteren Ausstellungsraum – das ehemalige „Warmhaus“ des historischen Glashauses – den sie in einer  für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen auto-performativen Auseinandersetzung durch Interaktion sowie mittels Zurhandnahme ausgewählter Materialien mit Bedeutung auflud. (Die dabei entstandenen Werke werden erst bei der weiterführenden Ausstellung im KUNST RAUM VILLACH ab dem 29.10.2022 sichtbar gemacht.)

 

Ein paar Tage vor der Ausstellung arrangierte die Künstlerin schlussendlich einen ausgewählten Teil ihrer an den Rechercheorten gesammelten Steine in den Acrylglaskubus:

 

  • Ein Phyllit sowie ein Quarzphyllit aus Lippitzbach (Lipica) an der Drau, Gemeinde Ruden (Ruda), Bezirk Völkermarkt, Kärnten, Österreich.
    (Standort der von der Firma Gridl erbauten Lippitzbachbrücke)
  • Drei Chlordi-Quarzphyllit, einer davon mit Mörtelresten der Mauer des ehemaligen Anwesens Schloss Portendorf, aus Portendorf (Partovca), Gemeinde Magdalensberg, Bezirk Klagenfurt Land, Kärnten, Österreich
    (Ort, an dem der Gründer des botanischen Gartens, Hubert Leitgeb, geboren und aufgewachsen ist)
  • Ein Kalk oder Dolomit und ein Vulkanit oder Basalt aus Radeče (Ratschach), Dolenjska (Unterkrain), Slowenien
    (Standort der von der Firma Gridl erbauten Brücke über die Save)
  • Drei Derbquarz-Kiesel aus Lancovo bei Radovljica (Radmannsdorf), Goreniska (Oberkrain), Slowenien
    (Ort des Zusammenflusses der Sava Bohinjka und der Sava Dolinka zur Save)
  • Ein nicht inventarisiertes, geheimnisvolles archäologisches Objekt, Fundort Flavia Solva Insula XXVII
    Verwahrort: Graz, Universalmuseum Joanneum, Depot
    (Mit freundlicher Genehmigung des Archäologiemuseums Graz – Universalmuseum Joanneum)

 

Der Acrylglaskubus selbst wird von der Künstlerin in unterschiedlichen Kontexten verwendet und je nach Aufstellungsort durch einen performativen Akt aufgeladen und dient als Bühne sowie Ausstellungs-Vitrine. In der Vergangenheit war er Teil des Projektes To Be A House, 2020 im Künstlerhaus Wien, sowie Maison Médéenne 2021 in der Villa For Forest in Klagenfurt.

 

Des Weiteren findet sich im Ausstellungsraum das Werk Im Possible (2022, Direktdruck auf Alu-Dibond, 60 x 80 cm), eine Überlagerung der Autoperformance „scheint unmöglich“ mit dem Scan einer Original-Konstruktionszeichnung der Lippitzbachbrücke aus dem Landesarchiv Kärnten.

 

 

Die Künstlerin dankt:

  • dem Institut für Archäologie/Universalmuseum Joanneum, insbesondere Frau Dr. Barbara Porod für die Zur-Verfügung-Stellung des archäologischen Objektes,
  • dem Institut für Biologie, Pflanzenwissenschaften insbesondere Frau Dr. Ursula Brosch für die Sichtung der Original-Skizzen Hubert Leitgebs, der Übersendung historischer Pläne sowie die Zur -Verfügung-Stellung von Original-Objekten des historischen Glashauses, die nicht sichtbar, aber für die auto-performativen Aufladung des Acrylglaskuben notwendig waren,
  • dem Universitätsarchiv Graz, insbesondere Herrn Mag. Dr. Andreas Golob, für die Aushebung und Aufbereitung der Bauakte des historischen Glashauses,
  • dem Landesarchiv Kärnten, insbesondere Frau Anna-Lena Stabentheiner, BA BA MA, für die zahlreichen Informationen,
  • dem kulturno turistični rekreacijski center Radeče, insbesondere Frau Jasmina Ašič für deren liebenswerte Bemühungen um die Auffindung der den Flussgöttern und -göttinnen der Save geweihten Altarsteine
  • sowie dem Landesarchiv Steiermark, insbesondere Frau Mag. Dr. Elke Hammer-Luza, MAS.
  • Ganz besonderer Dank gilt Herrn Pfarrer Slavomir Culak für die kongeniale Reisebegleitung.

 

KUNST RAUM VILLACH

Hauptplatz 10

9500 Villach

 

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